erschienen in: DIE ZEIT, April 2013
Ob leibliche Eltern oder Halbgeschwister – die Personensucherin findet Menschen auf der ganzen Welt
Wenn man Susanne Panter fragt, wie sie zu ihrem Job gekommen ist, erzählt sie die Geschichte von ihrem Opa, dem Erfinder der Kindersicherung für Steckdosen. Er sei ein Marktlücken-Finder gewesen und habe sich ausgedacht, was gebraucht wurde. Das habe sie von ihm geerbt. Susanne Panter besetzt mit ihrem Beruf in Deutschland gewissermaßen auch eine Marktlücke, denn es gibt nur wenige, die ihn ausüben: Die 46-Jährige ist Personensucherin. Sie hilft ihren Kunden, Menschen zu finden, die sie aus den Augen verloren oder noch nie getroffen haben.
Panter hat sich einen Job gesucht, der sie immer auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Denn die Konstellationen, denen sie bei ihrer Arbeit begegnet, kennt sie fast alle aus ihrer eigenen Familie. Ihre Mutter lässt sich scheiden. Panter hat eine Halbschwester, zwei Halbbrüder und einen Stiefbruder. Ihren leiblichen Vater lernt sie erst mit 18 Jahren kennen. Vielleicht will sie sich mit ihrem Job beweisen, dass es in anderen Fa mi lien noch chaotischer zugeht als bei ihr selbst. Panter formuliert es vorsichtiger, sie sagt: »Viele Schicksale, die in meinem Job vorkommen, gibt es auch in meiner Familie.«
Kinder anonymer Samenspender sind seit Kurzem potenzielle Auftraggeber
Eines dieser Schicksale ist das von Benjamin Schmitz. Der Einzelhandelskaufmann aus Velbert in der Nähe von Wuppertal ist 26 Jahre alt, Sohn einer deutschen Mutter und eines französischen Vaters. Aufgewachsen ist er bei seiner Oma und bei seiner Mutter im Ruhrgebiet. Die Mutter hat keinen Kontakt zum Vater und verbietet dem Sohn, nach ihm zu suchen – deswegen möchte Benjamin Schmitz auch nicht seinen echten Namen in der Zeitung lesen. Jahrelang quälen ihn Fragen: Wie sieht sein Vater aus? Wie riecht er? Wie klingt seine Stimme? Mit 16 sucht er ihn zum ersten Mal. Vergeblich. Mit 24 versucht er es noch einmal. Erfolglos. Dann beauftragt er Susanne Panter.
Panters Büro liegt in der Frankfurter Innenstadt, nicht weit entfernt von der Zeil, einer der belebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands. Ihr Büro ist weniger aufregend. Genau genommen, ist es nur eine spartanisch eingerichtete Ecke in ihrem Wohnzimmer. Dort steht ein großer Schreibtisch, darauf ein Laptop, der mit dem Internettelefonprogramm Skype und einem Headset ausgerüstet ist, ein Telefon und fünf Papierstapel. Für jede Suche macht sie einen neuen Stapel.
Von diesem Tisch aus hat Panter in den vergangenen 13 Jahren rund 3000 Menschen in der ganzen Welt gesucht. Mehr als 2800 von ihnen habe sie gefunden, sagt sie, eine Erfolgsquote von über 90 Prozent. Mit den Familien, die sie zusammengebracht hat, ließe sich eine Kleinstadt bevölkern. »Wenn sich jemand nicht absichtlich versteckt,
finde ich ihn beinahe überall«, sagt Panter. Hinter ihrem Schreibtisch hängt eine anderthalb Meter mal einen Meter große Weltkarte. Sie ist vergilbt vom Sonnenlicht, das durch die bodentiefen Fenster fällt. Mit Stecknadeln hat Panter auf der Karte die Länder markiert, in denen sie bereits Menschen gefunden hat: in Deutschland, Südafrika, Großbritannien, den USA, Chile, Russland oder Australien. Mehr als 50 Nadeln stecken in der Karte.
Zu Panter kommen Menschen, die adoptiert wurden und als Erwachsene ihre leiblichen Eltern suchen. Menschen, die wie Schmitz ohne ihren Vater aufgewachsen sind und nicht wissen, wo er sich aufhält.
Sie hoffen, einen Teil von sich selbst zu entdecken, der bislang unsichtbar war: Niemand könne wissen, wer er sei, ohne zu wissen, wo er herkomme, so sieht es Panter. Seit Kurzem hat sie noch mehr potenzielle Kunden: Vor einigen Wochen entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass Kinder, die durch eine Samenspende gezeugt wurden, erfahren dürfen, wer ihr leiblicher Vater ist. In Deutschland betrifft das rund 100 000 Menschen. Panter findet das Urteil gerecht. Sie sagt: »Viele, die ihren leiblichen Vater nicht kennen, glauben ihr Leben lang, es sei nicht in Ordnung, dass es sie gibt.« Für Panter ist es fast eine Mission geworden, ihnen dieses Gefühl zu nehmen. Sie erinnert sich, dass sie sich selbst genauso fühlte, bevor sie ihren leiblichen Vater kennenlernte. Heute hat sie ihr Familienleben für sich selbst geordnet, lebt in einer festen Beziehung und hat viel Kontakt zu ihrer Halbschwester.
Mit ihrer Ausbildung hat ihr heutiger Beruf nichts mehr zu tun. Nach der Schule macht sie eine Lehre zur Bankkauffrau. Später studiert sie neben dem Job und wird Kommunikationswirtin. Sie wechselt häufig die Stelle, zieht mehrmals um, ist nie richtig zufrieden und immer auf der Suche.
Mit einer Freundin macht sie sich Mitte der Neunziger selbstständig: Sie gründen einen Klassentreff-Service, um alte Schulfreunde zusammenzubringen. Der Plan geht schief, sie bekommen nicht genügend Aufträge. Panter bleibt hartnäckig, ihre Idee ruhen zu lassen wäre für sie eine Niederlage. Sie ist überzeugt, dass es keinen Job gibt, der besser zu ihrer eigenen Geschichte passt.
Fünf Jahre später versucht sie es deshalb noch einmal. Sie schickt eine Pressemitteilung an den Tip, ein Berliner Stadtmagazin. Darin erklärt sie ihre Geschäftsidee. Kurze Zeit später hat sie so viele Anfragen, dass sie diese kaum noch bewältigen kann. Die meisten suchen ihre leiblichen Eltern. »Offensichtlich wurde jemand wie ich gebraucht«, sagt sie. 700 Euro kostet es, wenn Panter in Deutschland jemanden sucht. Im Ausland ist die Suche je nach Land teurer. 200 Euro muss ein Kunde anzahlen, bevor sie mit der Arbeit beginnt. Den Rest zahlt er nur bei Erfolg. Einen Teil des Geldes gibt Panter fast immer für die Akteneinsicht bei verschiedenen Ämtern aus. Bei welchen Behörden sie Informationen über die Gesuchten bekommt, hat sie sich im Laufe der Zeit selbst beigebracht.
Den Vater von Schmitz fand Panter nach rund vier Monaten in einem Vorort von Lyon in Südfrankreich. Er arbeitete in einem Krankenhaus. Panter recherchierte dafür zunächst beim Jugendamt. Als Schmitz 1987 geboren wurde, übernahm das Amt noch die Vormundschaft für Kinder, die ohne ihren Vater aufwachsen. Doch die Mitarbeiter fanden seine Akte nicht. Panter versuchte es beim Standesamt. Sie hoffte, dass es in den Meldeunterlagen einen Hinweis auf den Vater gibt. Vergeblich. Glück hatte sie beim Betreuungsgericht, dem früheren Vormundschaftsgericht.
In Schmitz’ Akte entdeckte sie eine Adresse des Vaters aus dem Jahr 1987. Wie lange die Suche dauert, spielt für Panters Honorar keine Rolle. Ob sich ein Fall lohnt oder ein Minusgeschäft ist, weiß sie immer erst am Ende. »Es ist schon vorgekommen, dass ich jemanden im Telefonbuch gefunden habe«, erzählt sie. »Manchmal suche ich aber auch mehrere Monate und finde denjenigen trotzdem nicht.« Ihr längster Fall dauerte rund zwei Jahre. Sie gibt eine Suche erst auf, wenn sie gar keine Chance mehr sieht, den Gesuchten aufzuspüren. Wer einen Personensucher braucht, landet schnell bei Susanne Panter.
Viel Konkurrenz hat sie in Deutschland nicht. Das Deutsche Rote Kreuz gründete nach dem Zweiten Weltkrieg einen Suchdienst für Menschen, die während des Krieges verschwanden. Noch heute sind mehr als eine Million Fälle ungeklärt, viele der Vermissten vermutlich schon tot. Außerdem bietet eine Handvoll kleiner Unternehmen Personensuchdienste an. Wer mit Menschen spricht, die Angehörige suchen, erfährt über manche von ihnen auch Unseriöses.
Eine Ausbildung oder ein Zertifikat braucht ein Personensucher
in Deutschland nicht. Panter wünscht sich, dass es einmal so weit kommt: »Solange jeder einen Suchdienst aufmachen kann, ist die Gefahr groß, dass verzweifelte Menschen damit abgezockt werden«, glaubt sie.
Vorbild sind für sie die USA, Australien und Großbritannien. Dort helfen staatliche Organisationen, sogenannte Post-Adoption Services, Adoptierten, ihre leiblichen Eltern zu finden. Bei Auslandsrecherchen arbeitet Panter mit diesen Organisationen zusammen. Außerdem unterstützen sie freie Mitarbeiter für englisch-, spanisch-, italienisch- und französischsprachige sowie für alle skandinavischen Länder.
Für die Suche nach Schmitz’ Vater hat Panter ihre Mitarbeiterin in Paris beauftragt. Als die Mitarbeiterin den Vater unter der alten Adresse nicht fand, hat sie Nachbarn in derselben Straße kontaktiert und gefragt, ob sich jemand an den Mann erinnere. Eine alte Frau glaubte, ihn zu kennen. Sie hatte Kontakt zu Schmitz’ französischer Großmutter. Von der bekam Panters Mitarbeiterin schließlich die Adresse des Vaters. Auf den Brief, den Panter und ihre Mitarbeiterin ihm schrieben, reagierte er zunächst nicht. Dann meldete er sich plötzlich.
Kaum ein Mann will riskieren, dass ein Brief des leiblichen Kindes ankommt
Wenn Panters Suche erfolgreich ist, schreibt sie dem Gesuchten immer zuerst einen Brief. Sucht jemand seinen leiblichen Vater, muss sie aufpassen: »Viele Männer haben in der Zwischenzeit eine neue Familie gegründet. Wenn ich dort anrufe, könnte ich ganze Familien zerstören.« Panter schreibt deshalb im ersten Brief, dass der Gesuchte für eine Familienforschung gebraucht werde. Wer nicht reagiert, bekommt nach Rücksprache mit dem Suchenden einen zweiten Brief. Darin schreibt Panter, dass man es akzeptiere, dass kein Kontakt gewünscht sei, sie dem Suchenden aber empfehlen werde, einen persönlichen Brief zu schicken. »Darauf reagieren die meisten«, sagt sie. Kaum jemand will riskieren, dass unangemeldet ein Brief des leiblichen Kindes ankommt, von dem die neue Familie nichts ahnt.
Panter weiß, dass sie den Gesuchten damit unter Druck setzt: »Viele wollen in der neuen Familie ihrer Eltern nichts kaputt machen«, erzählt sie. »Dabei ist es doch genau umgekehrt: Wenn jemand etwas kaputtgemacht hat, dann waren es die leiblichen Eltern selbst.«
Der Vater von Benjamin Schmitz hat zurzeit keine Partnerin, doch er ist gläubiger Muslim. Seine Mutter und seine Geschwister sollen nicht wissen, dass er einen unehelichen Sohn hat. Zunächst haben sich Vater und Sohn nur SMS geschrieben. Schmitz spricht kein Französisch, sein Vater weder Deutsch noch Englisch. Ihre Nachrichten übersetzten sie mit Google Translate, dann verabredeten sie sich zum bislang einzigen Treffen in Paris. Panters Mitarbeiterin war dabei, um zu dolmetschen. »Ich hatte das Gefühl, dass mein eigenes Ich auf mich zuläuft«, erzählt Schmitz. Wie es für sie beide weitergeht, weiß er noch nicht. Der Vater ist herzkrank und zieht sich häufig zurück. Für Schmitz ist es jedoch am wichtigsten, ihn überhaupt kennengelernt zu haben.