30 Jahre gibt es Stern TV. Davon gehen zehn Jahre auf das Konto von Steffen Hallaschka. Als er 2011 Günther Jauch ablöste, war das Lampenfieber groß. Denn der Moderationswechsel war ein Kulturschock. Ein Gespräch über Hallaschkas erste Sendung bei Stern TV, seine Ansprüche an das Fernsehmagazin und unerwartete Störung aus dem Publikum. von Catalina Schröder
Am 1. April feiert Stern-TV seinen 30 Geburtstag. Das ist zwar drei Tage zu früh, denn die erste Sendung lief am 4. April 1990 – aber Stern-TV-Tag ist nun mal Mittwoch. Eine Abweichung vom gelernten Sendeplatz gibt es aber doch: Ausnahmsweise läuft Stern-TV um 20.15 Uhr.
journalist: Herr Hallaschka, in einer Ihrer jüngsten Folgen von Stern TV haben Sie erklärt, warum Wäsche manchmal schmutziger aus der Waschmaschine kommt, als sie reinging: Ist das Journalismus? Oder Unterhaltung?
Steffen Hallaschka: Das ist das Tolle an Stern TV: Es ist ein Gefäß für alles. Wir haben keine Regeln. Es gibt sogar den Luxus, dass wir sagen: Wir müssen nicht berichten, wenn alle berichten. Wir nehmen ein Thema nur in die Sendung, wenn wir eine eigene Geschichte zu erzählen haben. Unser Anspruch ist es, aktuell und politisch zu sein. Genauso machen wir aber auch Verbraucherthemen und Unterhaltung, und manchmal machen wir einfach nur großen Kindergeburtstag.
Angenommen, es gäbe Stern TV noch nicht. Wäre es möglich, so ein Format heute auf den Markt zu bringen?
Ich glaube, das wäre schwer. Wir haben den Bonus, dass wir eine gelernte Institution sind. In den 90er Jahren, als Stern TV entstanden ist, war diese Form einzigartig. Das war vor dem Internet und Stern TV war die Wundertüte, bei der man nie genau wusste: Was haben die vor? Inzwischen sind das Internet und YouTube unser größter Konkurrent um aktuelle Trends und all die verrückten Vögel.
Wer ist – vom Internet abgesehen – Ihr größter Konkurrent?
Das sind die vielen Talkshows. Früher war eine prägende Farbe von Stern TV, dass sich prominente Menschen von einer anderen Seite gezeigt haben: Claudia Schiffer, Niki Lauda, Michael Schumacher. Das war in den 90er Jahren und die Zuschauer haben gemerkt: Guck mal, der hat ja auch noch eine ganz andere Seite als nur seinen Beruf. Das passiert heute auch bei Markus Lanz und in all den anderen Talkshows. Was nicht heißt, dass wir keine prominenten Gäste haben. Aber wir brauchen sie nicht mehr zwingend, um wiedererkennbar zu sein.
Sie moderieren Stern TV jetzt seit fast zehn Jahren. Haben Sie vor der Sendung noch Lampenfieber?
Es gibt immer eine schöne, angenehme Anspannung, die zum Live-Fernsehen dazugehört, und manchmal haben wir sehr besondere Sendungen. Weil es ein Gespräch gibt, das konfrontativ wird. Oder weil wir jemanden mit einer bewegenden Geschichte zu Gast haben. Dann bin ich angespannter, weil ich hoffe, dass alle sich so öffnen können, wie wir das beabsichtigen. Aber ansonsten bin ich froh, dass ich nicht die Aufregung der ersten Sendungen mit in die bald zehn Jahre genommen habe. Die allererste Sendung war brutal. Stern TV war die Institution schlechthin im deutschen Fernsehen und Günther Jauch sowieso. In den Wochen vor meiner ersten Sendung im Januar 2011 hatte ich den Eindruck: Hier steht eine Papstwahl an.
Inhaltlich hat sich beim Wechsel von Günther Jauch zu Ihnen nicht viel geändert. Hätten Sie die Sendung damals gerne umgekrempelt?
Wir haben zum Glück ganz wenig anders gemacht, weil tatsächlich der Personalwechsel der Moderation der große Kulturschock war.
Sie waren für die meisten Zuschauer damals ein Unbekannter.
Ja, man kannte mich nicht, aber ich hatte zuvor 15 Jahre in den dritten Programmen und im Hörfunk moderiert. Ein großer Startvorteil, weil die Kritiken nicht schon in der Schublade lagen. Ich glaube für jeden Kollegen mit großem Ruf wären die Abgesänge schon vor der ersten Sendung geschrieben gewesen.
Welche Erwartung hatten Sie an sich selbst?
Ich bin da reingegangen mit der Haltung: Ich kann das jetzt nur so machen, wie ich denke, dass es sich gehört. Wenn das nicht funktioniert, weil Stern TV und Jauch auf ewig verheiratet bleiben bei den Zuschauern, dann mache ich wieder was anderes. Und dann hat sich aber im Laufe dieses ersten Jahres abgezeichnet, dass die Sympathie ungebrochen war. Ich habe danach oft den Vergleich zu Wetten, dass ..? gehört. Da gab es ein gutes Jahr später auch den Wechsel von Thomas Gottschalk zu Markus Lanz. Aber solche Unterhaltungsshows kleben viel mehr am Gesicht des Moderators als ein journalistisches Format. Das ist eine viel schwerere Bürde für den Nachfolger.
Produziert wird Stern TV von i&u TV, der Produktionsfirma, die bis zum vergangenen Frühjahr noch Günther Jauch gehörte, bevor er sie an den Finanzinvestor KKR verkauft hat. Jauch ist aber weiterhin Berater von i&uTV. Mischt er sich bei Stern TV ein?
Nein, Günther Jauch ist alles andere als ein Kontrollfreak. Der einzige Ratschlag, den er mir zum Start gegeben hat, war, auf welches Hotel in Köln ich seiner Meinung nach verzichten sollte, weil ich dort nur Kollegen an der Bar treffe. Ansonsten hat er die Sendung wahrgenommen, hat auch mal ein Lob verteilt, mal eine Kritik. Meistens aber hat er die Dinge einfach geschehen lassen. Ich glaube, in den ganzen zehn Jahren habe ich bezogen auf die Sendung, wahrscheinlich drei E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten von Günther Jauch bekommen.
Wer guckt Stern TV?
Es ist schwer, sich da eine definierte Zielgruppe anzugucken. Was wir wissen, ist, dass wir ein überwiegend weibliches Publikum haben. Dass Menschen Lebensgeschichten und Schicksale erzählen, das ist, glaube ich, etwas, das tendenziell mehr Frauen erreicht. Und wir werden eher von den unter 50-Jährigen, als von den über 50-Jährigen geguckt.
Werden Sie auch von den unter 20-Jährigen geguckt?
Uns ist klar, dass die heute in weiten Teilen fürs lineare Fernsehen verloren gegangen sind. Außer wir haben einen entsprechenden Gast. So wie neulich, als der YouTuber Leeroy Matata bei uns war, der selber bemerkenswerte Gespräche führt. Er hat auf seinem Kanal „Leeroy will’s wissen!“ fast eine Million Follower. Da kommt ein Feedback von einem Publikum, das wir ansonsten gar nicht mehr haben. Nach der Sendung haben wir die Rollen getauscht und eine Viertelstunde ein Gespräch für Leeroys YouTube-Kanal geführt. Dann interessieren sich auch die Jüngeren für das, was im Fernsehen läuft. Und dafür, wie sich der Fernseh-Onkel auf YouTube macht.
Diskutieren Sie in der Redaktion darüber, wie Sie jüngere Zuschauer erreichen?
In meinen ersten Stern-TV-Jahren war die gelernte Haltung bei vielen Fernsehmachern: Wir machen so etwas Besonderes mit dieser Sendung! Wir bieten das auf diesem gelernten Sendeplatz an, und da sollen die Leute das gefälligst auch gucken. Inzwischen sind wir natürlich auch auf TV-Plattformen zu finden und genauso mit Bits und Pieces in den sozialen Netzwerken. Unsere Social-Media-Redaktion gab‘s 2011 noch nicht.
Was machen Sie jetzt anders?
Inzwischen haben wir prima Erfahrungen damit, auch mal in der Werbepause auf Social Media weiterzusenden. Das haben wir auch gemacht, als Leeroy da war. In der Werbepause hat er mit unserem Social-Media-Redakteur eine kleine Tour hinter die Kulissen unternommen, und das haben wir live in den sozialen Netzwerken gesendet. Im Grunde können wir Fernsehen und Social Media oft miteinander verheiraten.
Welche Rolle spielt für Stern TV die Quote?
Natürlich eine große, solange RTL auf Werbekundschaft angewiesen ist. Aber da kommt uns zugute, dass wir der gelernte Fernsehplatz sind. Wir haben eine Stammkundschaft und müssen uns nicht verbiegen, um unser Publikum anzulocken.
Aber Ihre Quote ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken.
Der Fernsehmarkt hat sich brutal verändert. Im Grunde ist es ganz einfach. Die Sendungen sind immer dann gesund, wenn sie über dem Senderschnitt liegen, weil das heißt: Sie heben den Senderschnitt. Wenn man dauerhaft unter den Senderschnitt sinkt, dann wird irgendwann mal jemand im Sender fragen: Was bringt uns das eigentlich? Wir liegen meistens über dem Senderschnitt.
Gibt es manchmal Themen, bei denen Sie denken: Das könnten wir uns jetzt auch sparen? Was bringt zum Beispiel die Berichterstattung über das Dschungelcamp?
Das Dschungelcamp gucke ich auch privat und bin ein großer Fan! Ich habe auch meine Magisterarbeit damals im Studium über Reality-Shows geschrieben. Wir müssen sicher nicht das ganze Jahr darüber berichten, aber zwei Mal im Jahr finde ich es unterhaltsam und völlig okay.
Als im Januar zwei Ex-Dschungelcamp-Kandidatinnen – darunter Olivia Jones – bei Ihnen im Studio saßen, stürmte plötzlich ein Zuschauer das Podium und wollte wissen, was er machen müsse, um selbst Kandidat im Dschungel zu werden. Da haben Sie ziemlich genervt reagiert.
Mich hat in dem Moment geärgert, dass die Sendung zu Ende ging. Ich konnte ihm nicht all meine Aufmerksamkeit schenken und meine Gäste links liegen lassen. Abgesehen davon, musste ich natürlich sehr schnell ein Gefühl dafür kriegen, ob die Situation kippt. So jemand kann im nächsten Moment aggressiv werden.
Gibt es für solche Situationen einen Notfallplan?
Wir haben Sicherheitsvorkehrungen wie bei fast jeder Live-Sendung in Deutschland. Wir haben im Studio auch Sicherheitsleute. Dieser Mann hat eine Lücke genutzt und ist irgendwie an der Sicherheit vorbei. Ich glaube, es wird auch so schnell nicht wieder vorkommen, wenngleich ich immer finde, dass in einer Live-Sendung mit Publikum auch Dinge geschehen dürfen. Da darf auch ein Zwischenruf passieren. Da darf sich auch mal jemand exponieren.
Als Stern-TV-Moderator müssen Sie viel Blödsinn mitmachen. Gibt es Dinge, bei denen Sie sich weigern?
Ich habe schon alles Mögliche gemacht, zum Beispiel Pilates mit Matthias Opdenhövel. Das hat nicht nur vorteilhaft ausgesehen. Das ist auch eine Farbe, die Jauch immer bedient hat und die ich immer geschätzt habe: dass man sich auch ganz gepflegt zum Löffel machen darf. Aber ich habe auch schon Sachen abgelehnt. Wenn wir Kandidaten aus dem Dschungelcamp zu Gast haben, gibt es immer mal lebendige Insekten zu essen. Das bringe ich nicht fertig. Aber ein paar frittierte Heuschrecken habe ich auch schon geknabbert und mit Schokolade gefüllte Kakerlaken. Wenn es Momente gibt, die grenzwertig sind, fragt die Redaktion auch vorher, ob ich Lust darauf habe.
Wann gab es zuletzt so einen Moment?
Das ist jetzt gar nichts Lustiges, aber vor paar Monaten stand ich mit meiner Tochter auf dem Reiterhof, als ein Anruf von der Redaktion kam. Es gab den Plan, ein Streitgespräch zu machen zwischen Niklas Frank, dem Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur Hitlers in Polen, und Jörg Meuthen von der AfD. Im vergangenen Herbst hat Niklas Frank einen vielbeachteten Spiegel-Text geschrieben. Es ging darum, dass er in der Rhetorik der AfD seinen Vater sprechen hört. Das ist einer dieser Fälle, wo die Redaktion sagt: Gibt‘s von deiner Seite journalistische Vorbehalte? Aber ich fand das sehr spannend. Das Gespräch hat dann auch stattgefunden – und es war eine sehr bemerkenswerte Sendung. Es war einer dieser seltenen Momente, wo man auch im Publikum merkte, was für eine Spannung da war. Das haben wir ganz selten, dass ein Gespräch mit so vielen Reaktionen begleitet wird: von höhnischem Gelächter, über Applaus, bis hin zu Zwischenrufen. Da war alles dabei.
Finden Sie es in solchen Momenten schade, dass die Sendung erst um 22.15 Uhr läuft? Um 20.15 Uhr hätten Sie vermutlich mehr Aufmerksamkeit.
Nein, gar nicht. Es gibt so einige Sendeplätze im deutschen Fernsehen, die darf man nicht verändern: die Tagesschau um 20 Uhr und den Tatort um 20.15 Uhr. Die Uhrzeiten sind im Tagesablauf der Menschen verankert. Aber es stimmt schon: Je näher Mitternacht rückt, umso mehr Menschen gehen ins Bett. Mein Standardspruch zu unserem Studiopublikum ist immer: Es wird viele unter Ihnen geben, die heute Abend zum ersten Mal den Abspann der Sendung sehen.
Sie selbst haben nicht volontiert, auch keine Journalistenschule besucht. Wer hat Ihnen das Moderieren beigebracht?
Ich hatte das Glück, dass ich schon in der Oberstufe mit Radio anfangen konnte. Damals wurde eine Jugendsendung beim Hessischen Rundfunk neu gegründet. Erst war ich als Gast in der Sendung und habe bei einem Spiel mitgemacht. Dann hieß es: Wer mitarbeiten will, soll sich melden. Mir war sofort klar, dass ich das beruflich machen will. Ich habe in Frankfurt studiert, damit ich nebenbei beim HR arbeiten konnte. Ich habe dann so viel Radio gemacht, dass sich mein Studium immer länger hinzog. Irgendwann war ich zu alt für ein Volontariat. Aber ich hatte den bescheuerten Uni-Abschluss noch nicht. 2004 ging ein Radiojob zu Ende und bis zum nächsten hatte ich noch acht Wochen Zeit. Da bin ich zur Uni gegangen und habe gesagt: Ihr kennt mich nicht mehr, aber ich würde gerne noch meine Prüfungen machen. Dann habe ich nach 24 Semestern endlich meinen Magister gemacht. Das war ein Trostpflaster für das fehlende Volontariat und die fehlende Journalistenschule. Wenn man so will, bin ich ein Moderationsfachidiot. Das Moderieren habe ich on the job gelernt und später bin ich über ein Casting beim Fernsehen reingerutscht.
Schaut man sich Ihre Moderatoren-Biografie an, fällt auf, dass Sie meistens Sendungen moderiert haben, die – ähnlich wie Stern TV – gleichermaßen unterhaltsame und ernsthafte Themen bedient haben.
Ja, in meiner ersten Radiosendung – 1993 beim HR – haben wir an einem Samstag über den Jahrestag des Deutschen Herbstes geredet, ganz politisch. Am folgenden Samstag gab es eine Sendung, wo man Sachen gewinnen konnte. 1996 bin ich zu Deutsche Welle TV gewechselt und habe dort die Sendung 100 Grad moderiert. Das war im Grunde eine Art Stern TV für ein junges Publikum. Wir haben über das erste Mal geredet, über Asyl und Abschiebung, über deutsche Bands. Ich habe dann auch im Hörfunk immer mal wieder solche Sachen gemacht, später bei Fritz und Radio Eins. Das waren Programme, die den Anspruch hatten, die Rundumversorgung für Kopf und Bauch zu liefern, also zu unterhalten und zu informieren.
Und heute?
In den vergangenen Jahren ist auch neben Stern TV noch einiges entstanden. Ich habe unter anderem ein eigenes Format entwickelt, das ich auch moderiere: Die letzte Instanz. Das ist eine Form von unterhaltsamer politischer Debatte, bei der vier Prominente in Meinungswettstreit miteinander treten. Nach jeder Runde entscheidet das Publikum, wer die besten Argumente hatte. Wir machen das drei, vier Mal im Schmidt-Theater auf der Reeperbahn in Hamburg und sind bisher immer ausverkauft. Im vergangenen Jahr hat dann der WDR gesagt: Das klingt spannend und wir haben im November vier Folgen im Fernsehen gemacht. Ich hoffe, dass wir das in diesem Jahr fortsetzen.
Außerdem moderieren Sie die GameShow Alles auf Freundschaft, die Ende Januar zum ersten Mal lief. Sänger Sasha und TV-Koch Tim Mälzer sind gegen ein Männer-Duo aus dem Publikum angetreten. Die Kritiken waren mäßig – das Ganze sei zu gewollt auf jung gemacht. Läuft die Sendung trotzdem weiter?
Alles, was ich von RTL so atmosphärisch in den letzten Tagen gehört habe, klang sehr gut. Ich hoffe, dass wir weitermachen können, weil es riesig Spaß gemacht hat. Das war so ein schöner Kindergeburtstag für Große.